Fehler in der Tiermedizin - Zukunftsdiskurs
Fehler in der (Tier)medizin – Die Herausforderung einer offenen Fehlerkultur und deren gesellschaftlich und rechtlich (un)erwünschte Folgen
Fehler zu machen, ist menschlich. Dennoch erwarten Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer sowie menschliche Patientinnen und Patienten (verständlicherweise), dass Behandlungen oder Eingriffe fehlerfrei durchgeführt werden. Aufgrund dieser hohen Erwartungen und der möglichen strafrechtlichen Konsequenzen wird in der Tier- und Humanmedizin bislang keine offene Fehlerkultur gelebt.
Das Ziel dieses Projekts ist es, eine objektive gesellschaftliche Debatte über eine offene und effektivere Fehlerkultur in der (Tier-)Medizin anzustoßen, die von der Gesellschaft befürwortet und aktiv unterstützt wird. Hierzu werden Fehlerkulturen anderer Branchen mit hoher Verantwortung untersucht, beispielsweise die Just Culture der Luftfahrt. Die Luftfahrt gilt oft als Paradebeispiel für eine offene und zielführende Fehlerkultur, die die Flugsicherheit nachweislich deutlich verbessert hat – ein Prozess, der kontinuierlich weiterentwickelt wird. Der Umgang mit Fehlern in der Luftfahrt ist nicht auf Bestrafung ausgerichtet, sondern zielt darauf ab, die Gesamtorganisation stetig zu verbessern.
Auf dieser Grundlage ist es das Ziel des Projekts, mithilfe möglichst breit gefächerter Expertisen, eigener wissenschaftlicher Erkenntnisse und einer öffentlichen Diskussion ein Konzept zu entwickeln, das das Vertrauen zwischen der Tierärzteschaft und der Gesellschaft stärkt. Damit soll ein Kulturwandel im Umgang mit medizinischen Fehlern angestoßen werden.
Veranstaltungen
bpt-Kongress 2024
bpt-Kongress 2024
Ein spannender Tag auf dem bpt-Kongress: Unser Projekt „Fehlerkultur in der Tiermedizin“ im Zukunftsdiskurs
Wir blicken auf einen inspirierenden und lehrreichen Tag beim bpt-Kongress zurück! Im Rahmen des Zukunftsdiskurses hatten wir die Ehre, unser Projekt „Fehlerkultur in der Tiermedizin“ einem breiten Fachpublikum vorzustellen.
Während unserer Präsentation teilten wir die Ergebnisse der Auftaktveranstaltung sowie erste Erkenntnisse aus Umfragen von Tierärzt:innen und tiermedizinischen Fachpersonal.
Das Auditorium hatte die Möglichkeit, persönliche Eindrücke und Erfahrungen zur Fehlerkultur interaktiv online einzubringen – ein wertvoller Einblick in die Gedankenwelt unserer Kolleg:innen.
Besonders beeindruckt hat uns das durchweg positive Feedback zu unserem Projekt. Die anwesenden Tierärztinnen und Tierärzte zeigten großes Interesse und Offenheit für das Thema und unterstrichen ihre Bereitschaft, einen Wandel in der Fehlerkultur aktiv mitzugestalten.
Nach der Veranstaltung nutzten wir die Gelegenheit, mit vielen Kolleg:innen in den Austausch zu gehen. Diese Gespräche lieferten uns wertvolle Impulse und neue Perspektiven, die wir direkt in unsere weitere Forschung einfließen lassen werden. Diskutiert wurde darüber, wie wir eine sichere, respektvolle und wertschätzende Arbeitsatmosphäre in tierärztlichen Teams schaffen können, damit Mitarbeitende Fehler leichter ansprechen können. Denn in unseren Umfragen während des Vortrages wurde klar, dass die Angst vor Konsequenzen oder Abwertung nach einem Fehler weit verbreitet ist. Das Teilen von Fehlern oder schwierigen Fällen in Fachpublikation, regelmäßige Fehlerbesprechungen, aber auch die persönliche Supervision zur Stärkung der Resilienz waren weitere Ideen, wie eine positive Fehlerkultur erreicht werden kann.
Ein großer Dank geht an den bpt für diese Plattform und die Möglichkeit, unser Anliegen einer offenen und zukunftsweisenden Fehlerkultur in der Tiermedizin zu präsentieren!
Auftaktveranstaltung 2024
Auftaktveranstaltung
Im Juni 2024 durften wir unser Zukunftsdiskurs-Projekt „Fehlerkultur Tiermedizin“ im aufhof Hannover vorstellen.
Teilnehmende waren Tierärztinnen und Tierärzte aus ganz Deutschland, Vertreterinnen und Vertreter des BPT, der Tierärztekammer und der DVG sowie Piloten und Tierbesitzerinnen.
Schon zu Beginn wurde deutlich, wie groß das Interesse am Thema Fehlerkultur in der Tiermedizin ist. In der Podiumsdiskussion wurde betont, dass wir den Mut aufbringen müssen, über Fehler zu sprechen. Dabei sollte die Erkenntnis im Vordergrund stehen, dass jeder Fehler eine Chance zur Weiterentwicklung bietet, anstatt von der Angst vor Fehlern bestimmt zu werden.
Peter Strutzke fasste dies treffend zusammen: „[…] dass auch da ein Umdenken passiert, dass ein Fehler nichts Schlimmes ist, sondern wir sind Menschen, da passieren Fehler. Aber die Frage ist eben, wie man mit den Fehlern umgeht, und dass man am besten aus den Fehlern etwas lernt, anstatt zu versuchen, diese zu retuschieren oder sie so darzustellen, als wären sie nie passiert.“
Gemeinsam wachsen
Prof. Dr. Sabine Kästner sagte: „ich muss [...] immer [daran] denken was mir mal […] jemand gesagt hat, na ja am Anfang sind's Fehler und später ist es Erfahrung. Wir lernen immer aus Fehlern, es müssen ja nicht immer unbedingt katastrophale Fehler sein […] aber wir sollten vielleicht eben die Maßnahmen ergreifen, dass man auch aus den Fehlern von anderen lernt, das heißt, dass man es weitergibt […]”
Dr. Korbinian Pieper betonte: „Erst mal muss ja derjenige der einen Fehler macht, sich dessen bewusst sein […] geht es eben ganz viel um die Kommunikation, das heißt die Person, die den Fehler macht und ihn bewusst wahrnimmt, muss sich trauen […] diesen Fehlern mit [einer Person] zu besprechen […] Alles mit dem Bewusstsein, wir wollen aus Fehlern lernen und dann zukünftige Fehler vermeiden, dass nicht der nächste Kollege wieder den gleichen Fehler begeht.”
Bekannte Systeme aus anderen Branchen
Ziel der Auftaktveranstaltung war es, Inhalte zu priorisieren und erste Ideen für Lösungsansätze zu sammeln. Dabei sollen Erfahrungen aus anderen Berufsbranchen, wie der Luftfahrt, die bereits eine sehr effektive Fehlerkultur leben, einfließen.
Im Austausch mit den Piloten Tim Menzel und Peter Strutzke erfuhren wir von dem fortschrittlichen Fehlermanagement in der Luftfahrt. Ein zentraler Aspekt ist die Denkweise, wie Fehler betrachtet werden. Herr Strutzke erklärte, dass in der Fliegerei nicht darauf ankommt, wer einen Fehler gemacht hat. Vielmehr geht es darum, schnell eine sichere und wirtschaftliche Lösung zu finden. Zudem existiert ein Reporting-System, in dem Fehler gemeldet werden müssen. Auf dieser Basis werden zweimal jährlich gezielte Trainings durchgeführt, die sich auf die häufigsten gemeldeten Fehler konzentrieren.
Ein weiteres Beispiel stammt aus der Humanmedizin: Das Critical Incident Reporting System (CIRS) ist eine anonyme Fehlermeldeplattform, auf der Fehler von Experten ausgewertet und anschließend für die Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
In einer Analyse von 41 Studien zu Fehlermeldesystemen wurde festgestellt, dass nur bei etwas mehr als einem Drittel der gemeldeten Fehler Maßnahmen ergriffen wurden, um zukünftige Vorfälle zu verhindern.1
Ziele der Auftaktveranstaltung
Eine transparente Fehlerkultur fördert die fachliche Qualität sowie die Leistungsbereitschaft und Zufriedenheit der Mitarbeitenden im tierärztlichen Team. In der Diskussion während der Auftaktveranstaltung wurde deutlich, wie wichtig die Kommunikation unter den Mitarbeitenden, tierärztliche Führungskompetenzen sowie Loyalität und Toleranz gegenüber dem Team sind – besonders für Berufsanfänger:innen. Dr. Christiane Bärsch brachte es auf den Punkt: „Es geht um Kommunikation. Wir müssen miteinander reden, wir müssen eben nicht so tun, als würden wir keine Fehler machen, weil wir alle Fehler machen. […] Intelligente Menschen machen immer wieder neue Fehler und nur dumme Menschen machen immer wieder den gleichen Fehler. […] Wenn wir so tun, als würden wir keine Fehler machen, dann nehmen wir uns eigentlich auch die Chance, uns weiterzuentwickeln.“
Peter Strutzke betonte in diesem Zusammenhang, dass „[…] die Selbstverständlichkeit da ist, dass der junge Arzt, der vielleicht gerade erst studiert hat, deutlich mehr Fehler begeht, nicht […] aus Dummheit […] oder weil er etwas nicht weiß, sondern einfach, weil ihm die Erfahrung fehlt und weil er aufgrund seines Trainings- […] und […] Erfahrungsstandes im Moment gar nicht besser handeln kann […]“.
Fehlerkultur ist ein Prozess, der Zeit braucht und nicht endet. Am Ende geht dies nur gemeinsam.
Die komplette Veranstaltung kann jederzeit auf YouTube nachgeschaut werden.
1 Goekcimen K, Schwendimann R, Pfeiffer Y, Mohr G, Jaeger C, Mueller S. Addressing Patient Safety Hazards Using Critical Incident Reporting in Hospitals: A Systematic Review. J Patient Saf. 2023;19(1):e1-e8. doi:10.1097/PTS.0000000000001072
Teilnehmer:innen Auftaktveranstaltung
Podiumsteilnehmer:innen
- Prof. Dr. Holger Volk, TiHo
- Dr. Claudia Busse, TiHo
- Dr. Christin Kleinsorgen, TiHo
- Petra Franke, Tierbesitzerin
- Nicola Massi, Tierbesitzerin
- Tierbesitzerin, N.N.
- Prof. Dr. Klaus Osterrieder, TiHo
- Dr. Christiane Bärsch, Tierärztekammer Niedersachen
- Prof. Dr. Sabine Kästner, Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft, Tiho
- Rain Gabriele Moog, Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V.
- Dr. Korbinian Pieper, Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V.
- Dr. Maren Püschel, Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V.
- Prof. Mahtab Bahramsoltani, FU Berlin
- Tim Menzel, Pilot, Sama Aviation Academy
- Peter Strutzke, Pilot, Sama Aviation Academy
Forschung
Rechtliche Situation
Erfassung der Beschwerde- und Fehlerhäufigkeit in der Tiermedizin in Deutschland. Überprüfung befürchteter rechtlicher Konsequenzen und sich daraus ergebender Impulse zum besseren Fehlermanagement.
Perspektive der Patientenbesitzer:innen
In Einzelgesprächen wurde über Fehler aus der Sicht der Tierbesitzer:innen gesprochen. Auf dieser Grundlage entsteht ein Online-Fragebogen, um weitere Erkenntnisse darüber zu liefern, wie Patientenbesitzer:innen Fehler in der Tiermedizin erleben.
Studierenden der Tiermedizin
Status Quo Ermittlung von Fehlerkultur im Studium. Eine Online-Befragung der Tiermedizinstudierenden in Deutschland soll einen Überblick über das Selbstbild und die Fehlerkultur geben.
Fehlerkulturerfassung von Tierärzt:innen und tiermedizinisches Personal
Zwei Umfragen erfassten die aktuelle Fehlerkultur über den Zeitraum von Mai bis Juli. Es wurden Fehlmeldungen, Fehlermeldesysteme und die aktuelle Stimmungslage erfragt. Aktuell befinden wir uns in der Auswertung.
Projekte
Zu Gast bei Vetivolution
Podcast
Prof. Dr. Holger Volk durfte mit Vetivolution eine Podcast-Folge aufnehmen und über das super wichtige Thema Fehlerkultur in der Tiermedizin sprechen.
Hört mal rein! Hier geht es zur Folge 18.
Niedersächsische Tierärztetag 2025
Live M&M Konferenz
Bei sogenannten Morbiditäts- und Mortalitäts - Konferenzen kommen (Tier-)Ärztinnen zusammen, um über schwierige Fälle zu sprechen. Dabei kann es sich um besondere Behandlungsverläufe, unerwünschte Ereignisse und Komplikationen, aber auch um konkrete Fehler oder Systemprobleme handeln. Ziel ist eine systematische Aufarbeitung in einer konstruktiven und vertrauensvollen Diskussionskultur. Es geht also niemals darum, einzelne Personen für Behandlungsverläufe verantwortlich zu machen.
M&M-Konferenzen sind damit nicht nur eine tolle fallbezogene Weiterbildung, sondern verbessern gleichzeitig die Strukturen und Prozesse der Patientenversorgung. Studien zeigen, dass sich durch M&M-Konferenzen die Fähigkeit von Mitarbeitenden, Komplikationen zu erkennen und selbstständig zu lösen, deutlich verbessert. Sie haben außerdem einen direkten Einfluss auf die Mortalitätsrate.
Nähere Infos und einen Leitfaden, was bei der Einführung dieses großartigen Tools zu beachten ist, gibt es bei der Bundesaerztekammer.
Wie bereits angekündigt wird es außerdem eine Live M&M-Konferenz auf dem Niedersächsischen Tierärztetag der DVG e.V. geben.
SocialMedia
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Sponsoring
Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die VolkswagenStiftung unterstützen das Projekt in der Ausschreibung „Zukunftsdiskurse“.